Dezember, 2012

‚Wer hat Angst vorm gelben Mann?‘ – Chronik eines schleichenden Ausverkaufs im Bordelais

Im Sommer 2012 versetzte ein chinesischer Investor eine ganze Region in helle Aufregung: Eines der renommiertesten Weingüter des Burgund, Château Gevrey-Chambertin, wurde für 8 Millionen Euro an den Tycoon der Glückspielindustrie aus dem Land der Mitte verkauft. Was im Burgund noch ein Einzelfall ist, ist im Bordelais schon gang und gäbe. Droht dem großen französischen Kulturerbe der Ausverkauf?

„Le vin est mort“, davon ist der alteingesessene Weinbauer aus dem Bordelais überzeugt, denn allen Bürgerinitiativen und protektionistisch grundierten Rettungsaktionen zum Trotz kann er den Ausverkauf seines Terroir an den kalifornischen Wein-Magnaten Robert Mondavi nicht mehr verhindern. Diese Szene spielt im Jahr 2003, kurz vor dem Höhepunkt der Krise der Weinbranche in der Bordeaux-Region. In nostalgischer Brechung hat Jonathan Nossiter in seinem hinreißenden Doku-Drama Mondovino (2004) gezeigt, was Globalisierung im Weinbau für die französische Seele bedeutet: Wie Cervantes‘ Don Quijote lässt Nossiter den bodenständigen französischen Vigneron mit all seinen edlen Rittertugenden antreten gegen die träge, uninspirierte Kraft der Windmühlen aus Napa-Valley. Jahrhunderte alte Kulturüberlieferung wird ausgespielt gegen einen global diktierten Massengeschmack, ländliches Kleinidyll punktet vor industrieller Großproduktion, weiß schlägt schwarz – zumindest auf ideeller Ebene. Dabei war das französische Wein-Märchen schon 2004 längst nicht mehr so romantisch, wie der stilbewusste Konsument sich das vielleicht gewünscht hätte, denn es handelt auch und besonders vom Geld, und das nicht nur auf schwarzer Seite.


Die Wurzeln des Übels reichen zurück in die 80er Jahre

Da der Markt in den 80er Jahren der starken internationalen Nachfrage nicht entsprechen kann, werden im Bordelais 20.000 Hektar neue Anbauflächen erschlossen. Produzenten, die bislang klassischen „Vin de table“ herstellten, satteln um auf die lukrativere „Appellation d’origine contrôlée“ (AOC) ohne es mit den höheren Produktionsanforderung dieser Qualitätsstufe – z.B. die vorgeschriebene Pflanzdichte für Weinstöcke – allzu genau zu nehmen. Um das Wachstum zu beschleunigen, wird tonnenweise Mist als Dünger ausgebracht – eine Maßnahme, die jedoch kurzfristig nicht gerade zur Qualitätssteigerung der Reben beiträgt . „Pisser de la bibine“ nennt der Franzose das blumig: der Weinberg „pinkelt“ erst einmal fünfzehn Jahre lang ein übles „Gesöff“. Immerhin explodieren kurzfristig die Ernteerträge. Nahezu alles lässt sich verkaufen. Schon in dieser Zeit scheint so mancher Weinbauer schwach geworden zu sein: Eine ganze Reihe von Großkonzernen wie AXA, Alcatel oder Chanel wittern Rendite und kaufen traditionsreiche Châteaux auf und sich damit ins Weingeschäft ein.

Doch schlechte Qualität rächt sich auf Dauer. In den Folgejahren kommt es zu einem europaweiten steten Rückgang beim Konsum von Bordeaux-Weinen. Im Jahr 2000 kann die Produktion erstmals nicht mehr in vollem Umfang abgesetzt werden. Mit Hilfe von EU-Subventionen werden mehrere Millionen Hektoliter unverkäuflichen Weins zu Industriealkohol destilliert. Ein moderater Rückbau der Produktionsflächen trägt außerdem zur allmählichen Stabilisierung der Preise bei. Seit 2006 ist ein leichter Aufwärtstrend zu verfolgen, der jedoch vor allem dem steigenden Export in die USA und nach Asien geschuldet ist.


…ein wenig wie die Teezeremonie im fernen Osten

Im Jahr 2010 steht China erstmals auf Platz eins unter den Konsumenten von Bordeaux-Weinen. In diesem Jahr werden 251 000 Liter Wein ins Land der Mitte exportiert, was einem Umsatz von 333 Millionen Euro entspricht.  Im Januar 2011 vermeldet Gbtimes euphorisch, Bordeaux-Weine befänden sich auf „Eroberungszug“ nach China, dem neuen Eldorado unter den Absatzmärkten. Eine besondere Herausforderung für die Professionellen der Weinbranche stelle künftig vor allem die Aufgabe dar, den Chinesen „den französischen Wein zu erschließen, ihn in seinen Raffinessen zur erklären und aufzuzeigen, inwiefern sein Genuss auch eine Kunst sei – ein wenig wie die Teezeremonie im fernen Osten.“


30 Weingüter seit 2008 an Chinesen verkauft

Wen wundert’s? Die Chinesen haben schnell dazugelernt und binnen weniger Jahre Gefallen an dem Kult gefunden, den der Franzose seit Jahrhunderten um seinen Rebsaft betreibt: Im Oktober 2012 spricht das ZDF-Auslandsjournal von einem Importvolumen in Höhe von 600 Millionen Euro jährlich. Doch Investoren aus China kaufen nicht nur Weine, sondern auch die dazugehörigen Châteaux: Seit 2008 wurden etwa 30 Weingüter aus dem Bordelais, vor allem aus den Gegenden Médoc, Saint-Emilion und Castillon, an finanzstarke Chinesen verkauft. Das treibt vor Ort die Preise hoch, so dass einheimische Bieter finanziell oft nicht mehr mithalten können. Und was Chanel schon in den 80er-Jahren recht war, das kann einem chinesischen Fernsehstar nur billig sein: Im November 2011 erwirbt die in China populäre Schauspielerin Zhao Wei das traditionsreiche Schloss Monlot – 7 Hektar der Appelation Saint Emilion Grand Cru – für geschätzte 4-5 Millionen Euro. In einer feierlichen Zeremonie erhält sie von der traditionellen Bruderschaft der Bordeaux-Winzer den Ritterschlag. Dass die geschäftstüchtige TV-Ikone aus dem fernen Osten mit ihrer Medaille dann auch noch für Elle posiert, wird so manch eingesessem Traditionswinzer dann doch zu viel.


„Bordeaux contre Ningxia“

Im Sommer 2012 kommt das Fass schließlich zum Überlaufen, wenn auch nicht im Bordelais, sondern im Burgund: War die überschaubare Spitzenregion bislang von ausländischen Aufkäufen weitgehend verschont geblieben, so geht nun Gevrey-Chambertin, eines der renommiertesten Weingüter des Bourgogne für 8 Millionen Euro an einen chinesischen Investor, der sein Geld vor allem in der Glücksspielindustrie angehäuft hat. Vor Ort reagieren die Winzer gekränkt. Mit Polemik wird nicht gespart: Die Chinesen hätten doch keinerlei Interesse am Wein. Sie schmeichelten mit diesen Aufkäufen doch bestenfalls ihrem Ego. Der rechtspopulistische Front National bläst sogar zum patriotischen Schulterschluss gegen die fremde Bedrohung einheimischen Kulturgutes, und verschreckte Leserbriefschreiber drohen, im Gegenzug morgen einfach „ein Stück Chinesische Mauer“ aufzukaufen.

Bei allem Verständnis für die Globalisierungsskepsis der französischen Seele: Die Angst vor der Übernahme durch den fernen Osten, die sich seit einiger Zeit in französischen Weinbergen breit macht, ist berechtigt, aber sie ist auch ein hausgemachtes Problem, denn  Geld hat auch ihr nie gestunken. Vielleicht bekommen die Franzosen ihre Weingüter aber auch bald wieder günstig zurück. Bei der Blindverkostung „Bordeaux contre Ningxia“ durch ein französisch-chinesisches Sommelier-Team in Peking im Dezember 2011 lagen nämlich ausschließlich chinesische Crus auf den ersten vier Plätzen. Könnte also durchaus sein, dass die patriotischen Chinesen künftig dann doch lieber ihre eigenen Weine trinken.