Amerika

Vom Umgang mit ‚Rechtsschändern‘

In der Debatte um die Tötung von Terroristenführer Osama bin Laden und inwieweit diese mit einer christlich-demokratischen Grundordnung vereinbar sei, wird immer wieder auf den Widerstand gegen das Naziregime und das Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 verwiesen. Tenor: Man habe es sich damals nicht leicht gemacht, aber schlussendlich die Ermordung für notwendig und legitim erachtet. Deshalb ist die Tötung bin Ladens erst recht legitim.

So diskutiert etwa Jörg Kürschner, MDR-Korrespondent im ARD-Hauptstadtstudio, in seinem Kommentar die Frage: „Ist der Tyrannenmord an Osama Bin Laden vertretbar?“ und verweist dabei auf das Beispiel des Hitler-Attentats: „Der Kreisauer Kreis um Stauffenberg hat versucht, diesen Tyrannen zu ermorden“.

Tatsächlich waren es die führenden Köpfe des sog. Kreisauer Kreises, insbesondere Helmuth James von Moltke, die ein Attentat ablehnten. Erst nach der Verhaftung Moltkes im Januar 1944, infolge derer sich der Kreisauer Kreis faktisch auflöste, schlossen sich einige Kreisauer der Stauffenberg-Gruppe an. Moltke, hochgebildet und tiefreligiös, Jurist und speziell Völkerrechtler, lehnte im Gegensatz etwa zu dem Protestanten Dietrich Bonhoeffer einen gewaltsamen Putsch ab, da er einerseits die Gefahr einer neuen Dolchstoßlegende sah und andererseits überzeugt davon war, dass gerade „Gewalttätigkeit das Grundübel nicht beheben“ könne (vgl. dazu Beate Ruhm von Oppen, Briefe an Freya 1939 – 1945, Biographie, S. 53).

Der Kreisauer Kreis war eine Gruppe des bürgerlichen Widerstands, der auch wichtige Kirchenmänner angehörten und die sich intensiv und detailliert mit der politisch-gesellschaftlichen Neuordnung nach der Diktatur, von deren absehbarem Zusammenbruch sie fest überzeugt waren, befassten. „Vor allem anderen war ihnen die Erneuerung der moralisch-ethischen Maßstäbe wichtig. Sie waren sich darin einig, daß ohne metaphysische Dimension weder das Individuum noch die Nation leben könnte.“ fasst Marion Gräfin Dönhoff die Gesinnung des Kreisauer Kreises zusammen (in: „Zivilisiert den Kapitalismus“, S. 205). Wie zukunftsweisend die Kreisauer dachten, zeigt sich bereits in dem großen Stellenwert, den sie – schon damals – Europa als einem zukünftig föderalen Europa mit einheitlicher Währung beimaßen.

Ein weiteres wesentliches Thema, das die Kreisauer für die Neuordnung der Gesellschaft erörterten, war die Bestrafung von Rechtsschändern (statt: „Verbrechern“). In einem 1943 entworfenen Dokument hielten sie fest:

„Als Rechtsschänder ist zu bestrafen, wer wesentliche Grundsätze des göttlichen oder natürlichen Rechts, des Völkerrechts oder des in der Gemeinschaft der Völker überwiegend übereinstimmenden positiven Rechts in einer Art bricht, die erkennen läßt, daß er die bindende Kraft dieser Rechtssätze freventlich mißachtet. Rechtsschänder ist auch, wer den Befehl zu einer rechtsschändenden Handlung gibt, in verantwortlicher Stellung dazu auffordert oder allgemeine Lehren oder Weisungen rechtsschändender Art erteilt. […]“ (vollständig nachzulesen hier).

Diese vom Kreisauer Kreis erdachten Grundsätze lenken den Blick durchaus wieder kritisch auf Obama, wenn er tatsächlich den Befehl zur Exekution bin Ladens gegeben hat.

„Bei einer auf Befehl begangenen Rechtsschändung ist der Befehl kein Strafausschließungsgrund es sei denn, daß es sich um eine unmittelbare Bedrohung von Leib oder Leben des Täters handelt oder ein sonstiger Zwang vorliegt, der nach den näheren Umständen die Befolgung des Befehls nicht als offenkundig unsittlich erscheinen läßt. “

Den aktuellen Presseberichten zufolge, scheint festzustehen, dass bin Laden entgegen der ersten Darstellungen der Amerikaner doch unbewaffnet war und auch keine menschlichen Schutzschilde eingesetzt hat. Zu diskutieren wäre danach allenfalls der „sonstige Zwang“ als Rechtfertigungsgrund für die Tötung bin Ladens und dazu ist deren genauer Ablauf von entscheidender Bedeutung.

So einfach lässt sich der „Tyrannenmord“ also nicht rechtfertigen – jedenfalls nicht, wenn man sich auf den Kreisauer Kreis beziehen will.