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Lustvolle Beliebigkeit vor der Apokalypse

Anmerkungen zur Sonderausstellung „1913: Bilder vor der Apokalypse“ im Franz Marc Museum, Kochel (13. Oktober 2013 bis 19. Januar 2014)

In ihrer Konzeption ist die Ausstellung in Kochel angelehnt an Florian Illies Bestseller 1913 – Der Sommer des Jahrhunderts (S. Fischer), in dem in lose-anekdotischer Folge Monat für Monat zentrale Ereignisse aus Politik, Gesellschaft und Geschichte, aber auch eines blühenden literarisch-künstlerischen Schaffens im Jahr vor Ausbruch des ersten Weltkriegs aneinandergereiht werden.

Der Besucher wird gleich in der vom Foyer aus einsehbaren großen „Lounge“ ins kalte Wasser dieses postmodern anmutenden Konzepts getaucht: Die Wände ringsum sind über und über bedeckt mit einer Chonologie des Jahres 1913, die den wichtigsten in Illies Buch aufgenommenen Ereignissen folgt.

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(Bild: Das Franz-Marc-Museum in Kochel, grafisch abstrakt verfremdet)

Was auch immer der Ausstellungstitel an Assoziationen hervorrufen mag, Buch wie auch Ausstellung selbst – so informiert uns die äußerst spärlich gehaltene Dokumentation – „verweigern in ihrer Breite und Qualität lustvoll jede eindimensionale Deutung“ (Illies). Sie zielen also gerade nicht darauf ab, den Werken der klassischen Moderne der letzten Vorkriegsjahre rückblickend eine mögliche Vorahnung des Unheils unterzuschieben und damit den Künstler in die Rolle eines „unbestechlichen Seismographen für die Erschütterungen der Zeit in Dienst zu nehmen“. Vielmehr soll eine „objektive“ Sichtweise eingenommen werden. Wie objektiv Illies als literarischer Chronist des Jahres 1913 wohl sein mag, fragt man sich da natürlich, denn als Schriftsteller arbeitet auch er perspektivisch, wählt aus, verwirft und will unterhalten. Zu diesem Schluss kommt auch Hans von Trotha, der in dem Buch alles andere als eine historische Analyse sieht und den Lesern empfiehlt, es „bei aller objektiven Faktendichte als höchst subjektive und feuilletonistische Zusammenstellung [zu] lesen, die nicht zuletzt auch auf die funkelnde Pointe zugeschnitten ist“[1].


Sehenswerte Werke der klassischen Moderne

Im themenbezogenen zweiten Stock des Museumswürfels, der durch große Glasflächen immer wieder beeindruckende Blicke auf den Kochelsee und die nebelumwobenen Gipfel von Herzogstand und Heimgarten eröffnet, finden wir also fraglos sehenswerte Werke der klassischen Moderne: von Mackes Hutladen über Marcs Zwei Katzen bis hin zu Kirchners Blaue Artisten. Und um der ‚Komplexität‘ der Illiesschen Buchidee gerecht zu werden, sollen die also gerade nicht durchweg etwas mit Kriegsahnung zu tun haben. Man fragt sich hier allerdings, ob überhaupt irgendjemand so naiv wäre, zu glauben, dass sich im Jahr 1913 nicht auch Unbeschwertes ereignet hat und von Künstlern festgehalten wurde.


Sehnen nach dem reinigenden Weltenbrand

Nun würde die kunsthistorische Forschung sicherlich nicht abstreiten, dass es Bilder einer solchen Vorahnung gibt und dass gerade die Mitglieder des Blauen Reiter, der berühmten Münchner Künstlervereinigung, der auch Franz Marc angehörte, vielleicht sogar mehr als bloße „Seismographen“ ihrer Zeit waren. Es ist kein Geheimnis, dass mit die bedeutendsten Künstler des beginnenden 20. Jahrhunderts das Ende der bürgerlich saturierten Langeweile, den reinigenden Weltenbrand, der sie vom geistigen Stillstand und dem „Scheinleben“ der alten Ideen, Vorstellungen und Formen des 19. Jahrhunderts befreien sollte, geradezu herbeigesehnt haben. Marcs offene Kriegsmetaphorik ist hier mehr als auffällig:

In unserer Epoche des großen Kampfes um die neue Kunst streiten wir als „Wilde“, nicht Organisierte gegen eine alte, organisierte Macht. Der Kampf scheint ungleich aber in geistigen Dingen siegt nie die Zahl, sondern die Stärke der Ideen. Die gefürchteten Waffen der „Wilden“ sind ihre neuen Gedanken, sie töten besser als Stahl  und brechen, was für unzerbrechlich galt.[2]

Im Text des Subskriptionsprospektes zum Almanach Der Blaue Reiter „hört“ er sogar die „apokalyptischen Reiter in den Lüften“ und „fühlt eine künstlerische Spannung über ganz Europa“.


Fragwürdiges Motto: „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“

Franz Marcs Tirol  mit Madonna und Sense (1914), die Tierschicksale (1913) oder Kandinskys Improvisation Sintflut (1913) gehören sicherlich zu den zentralen Werken, in denen eine solche Endzeitstimmung greifbar wird. Keines davon ist in der Ausstellung vertreten. Unerlässlich ist dies nicht, denn unter den in Kochel gezeigten Werken findet man durchaus auch Unheilschwangeres: Während sich Illies im Leitartikel des Katalogs noch in einer Feier der Beliebigkeit ergeht, wagt es Kathrin Klingsöhr-Leroy, die künstlerisch Direktorin des Franz-Marc-Museums, in ihrem Begleitbeitrag nämlich sehr wohl, solche Tendenzen herauszuarbeiten. In ihren interessanten Erläuterungen zu Erich Heckels Kinderspielplatz (1912), Kranke Frau (1912) und  Parksee (1914) bereichert sie die Thematik mit kunsthistorischem Sachverstand. Es bleibt also die Frage, weshalb das Ausstellungskonzept den Besucher geradezu nötigt, sich in der inszenierten „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ einzurichten und interpretatorisch nicht festzulegen. Das mag originell klingen, wird aber doch sehr schnell langweilig.

Am Ende bleibt das ungute Gefühl, dass man in Kochel vor allem auf einen wechselseitigen Publicity-Effekt von Literatur und bildender Kunst gesetzt hat, diese Rechnung aber nicht recht aufgeht. Muss ein Museum sich unter die Deutungshoheit eines gerade hippen Schriftstellers begeben? Im Glashaus sitzend, mahnt Illies den Betrachter, seine perspektivische Befangenheit zu überwinden. Doch das ist scheinheilig, denn als Schriftsteller (und Autor von 1913) hat er den Stein längst schon geworfen.


[1] Zur Zeit-Rezension vgl. Perlentaucher

[2] Franz Marc: „Die ‚Wilden‘ Deutschlands“, in: Der Blaue Reiter, München 122012, S. 28 ( Erstauflage 1912)